Rechtsanwältin A. Breitschwerdt, Fachanwältin für Erbrecht und Fachanwältin für Familienrecht im Interview
In Deutschland wird immer mehr Vermögen vererbt. Gleichzeitig verändern sich die gesellschaftlichen Strukturen. Es gibt immer mehr Menschen, die sich in ihrem Leben mehrfach verheiraten und von unterschiedlichen Partnern Kinder haben. Andere leben unverheiratet – mit und ohne Kinder – zusammen.
Hinzu kommt, dass durch die Globalisierung immer mehr Deutsche zeitweise im Ausland leben oder ausländische Mitbürger, Vermögen in Deutschland erwerben.
Wie ist auf diese Änderungen erbrechtlich zu reagieren?
10 Fragen an Frau Rechtsanwältin A. Breitschwerdt, Fachanwältin für Erbrecht und Fachanwältin für Familienrecht.
1. Muss man ein Testament errichten?
Nein. Wenn ein Erblasser oder eine Erblasserin kein Testament errichtet, gilt die gesetzliche Erbfolge.
2. Was bedeutet gesetzliche Erbfolge?
Dies ist von Fall zu Fall verschieden. Wenn ein Ehepaar z.B. zwei Kinder hat und keinen Ehevertrag abgeschlossen hat, erbt der überlebende Ehepartner eine Hälfte des Nachlasses und die Kinder je ¼.
Wenn z.B. das Paar nicht verheiratet ist, erben ausschließlich die Kinder. Sind dann z.B. noch Kinder aus einer vorangegangenen Beziehung vorhanden, mit denen man gegebenenfalls keinen Kontakt hat, erben auch diese Kinder gleichrangig mit den Kindern aus der zweiten Beziehung.
Dies ist häufig so nicht gewollt.
3. Was muss beachtet werden, wenn man in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebt und Kinder hat?
Häufig wünschen auch nicht verheiratete Elternteile, dass der jeweils andere Elternteil auch erbt. Dies muss dann ausdrücklich in einem Testament oder Erbvertrag bestimmt werden.
4. Kann man Kinder, zu denen man z.B. keinen oder einen schlechten Kontakt hat, von der Erbfolge ausschließen?
Man kann Kinder enterben. Den Kindern steht dann allerdings im Regelfall ein Pflichtteilsanspruch zu.
5. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch?
Dies kommt auf den Einzelfall an.
Wenn ein überlebender Ehepartner und zwei Kinder vorhanden sind und das Ehepaar keinen Ehevertrag errichtet hat, beläuft sich der Pflichtteilsanspruch jedes Kindes auf 1/8 des Nachlasses. Der Ehepartner hat einen Pflichtteilsanspruch von ¼.
Wenn man nicht verheiratet ist und ein Kind hat, beläuft sich der Pflichtteilsanspruch dieses Kindes auf 50% des Nachlasses.
Ein hoher Pflichtteilsanspruch kann den Erben in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Beispielsweise kann dies zur Folge haben, dass ein sich im Nachlass befindliches Grundstück sehr rasch und unter Umständen unter Preis verkauft werden muss.
6. Kann man bei rechtzeitiger Planung Pflichtteilsansprüche vermeiden?
Bei rechtzeitiger Planung kann man steuernd eingreifen. Beispielsweise kann zu Lebzeiten bereits Vermögen an Dritte verschenkt werden. Wenn dann 10 Jahre bis zum Erbfall vergangen sind, ist der gesamte Wert des verschenkten Gegenstandes dem Nachlass nicht mehr hinzuzurechnen. Sind beispielsweise nur 5 Jahre vergangen, ist die Hälfte des Wertes des verschenkten Gegenstandes dem Nachlass nicht mehr hinzuzurechnen.
Bei Patchworkfamilien ist daran zu denken, dass der Elternteil, der eine gute Beziehung zu seinen Kindern hat, mit den Kindern zu seinen Lebzeiten bereits Vereinbarungen trifft und z.B. die Kinder gegen Erhalt einer Abfindung auf ihren Pflichtteil verzichten. So wird der Überlebende geschützt.
7. Muss man etwas Besonderes beachten, wenn man Immobilien vererbt?
Immobilien werden wie sonstiges Vermögen vererbt. Manchen Menschen liegt aber besonders viel daran, dass Immobilien, die sich beispielsweise schon lange im Familienbesitz befinden, nicht an Familienfremde, z.B. geschiedene Ehegatten der Kinder, fallen. Dies kann durch rechtzeitige Gestaltung vermieden werden.
8. Muss man etwas Besonderes beachten, wenn man z.B. eine Immobilie, die sich im Ausland befindet, vererben möchte?
Wer eine Immobilie im Ausland besitzt, muss rechtzeitig daran denken, dass Auslandsvermögen häufig nicht nach deutschem Erbrecht vererbt wird sondern nach dem Recht, das im jeweiligen Staat gilt. Hier muss besonderer Rechtsrat eingeholt werden.
9. Gilt automatisch das deutsche Erbrecht, wenn man in Deutschland lebt?
Im Moment ist es noch so, dass das deutsche internationale Privatrecht an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Das bedeutet auch, dass wenn man beispielsweise schon 30 Jahre in der Bundesrepublik lebt und hier Vermögen gebildet hat, die Erbfolge sich nicht nach deutschem Recht regelt, sondern nach dem Recht des Staates, dem man angehört.
Ab 2015 wird sich dies voraussichtlich ändern. Der europäische Gesetzgeber hat am 04.07.2012 die Europäische Erbrechtsverordnung beschlossen. Diese knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers an.
10. Wann sollte man sich beraten lassen?
Meines Erachtens sollte etwa bei komplizierten Familienverhältnissen oder bei besonders zusammengesetzten Nachlässen Rechtsrat eingeholt werden. Häufig ist man als Laie nicht in der Lage, zu überblicken, was für rechtliche Folgen es hat, wenn man bestimmte Begriffe im Testament verwendet.
Zu beachten ist auch, dass Testamente immer wieder zu überprüfen sind, ob sie noch dem entsprechen, was man tatsächlich haben möchte. Wenn sich die Lebensverhältnisse ändern, ändert sich häufig auch das, was man „im letzten Willen“ geregelt haben möchte.
